Paraguay, Mennoniten & Schüleraustausch

eines Vorweg

Normalerweise stehen alle von mir gemachten Fotos in diesem Blog unter der GPL, die Fotos in diesem Beitrag nicht. Eigentümer sind hier A. und R. Dueck in Steinfeld/ Paraguay, für deren Erlaubnis, die Bilder hier zeigen zu dürfen, ich mich nochmal bedanken möchte. Teilweise sind die Fotos auch eigens dafür gemacht worden. Kopieren und anderweitige Verwendung  der Bilder sind daher nicht erlaubt.

Mal was anderes

Nach dem Wir über ein paar Jahre lang Gastschülerinnen aus Moskau hatten, kamen wir über eine Anzeige in der Zeitung auf den Gedanken jemand aus Südamerika aufzunehmen. Alles mußte schnell gehen, wir waren „Notquartier“ für den VDA, da es wohl nicht genug Gasteltern gab. Die Frau am Telefon schlug uns jemanden aus Paraguay vor. „mennonitischer Abstammung …ganz normale Menschen!“ Ich dachte mir: „nichts dabei…“ Wer jetzt pseudo- Wissen hat, denkt bei Mennoniten an Menschen, die mit einem Pferdewagen unterwegs sind und ihre Kleidung meist selbst schneidern.

Wer, wie ich, keine Ahnung hat(te) denkt sich nicht viel dabei und fängt spätestens dann an neugierig zu werden, wenn er eine Bibel als Abendlektüre einer 17 Jährigen sieht.

die Bibel

immer präsent

Wenn man jetzt an Menschen denkt, die in ihrer Gottesfurcht keinerlei Lebensfreude kennen und altbacken daher kommen, irrt man sich gewaltig. Um zu verstehen wie diese Menschen denken muß man sich kurz mit ihrer Geschichte und ihren Grundsätzen auseinandersetzen. Die Mennoniten sind eine evangelische Freikirche, ihr Namensgeber war der Reformator Menno Simons. Seit ihrer Abspaltung von der „normalen“ Kirche wurden sie verfolgt. Ihre Wurzeln liegen in der Wiedertäuferbewegung. Und da sind wir auch schon bei den Grundsätzen:

  • keine Waffengewalt zur Durchsetzung persönlicher/ politischer Ziele
  • keine Kindertaufe, man tritt dem Glauben/ der Gemeinschaft bewußt bei
  • die Bibel ist der Leitfaden, alle anderen unklaren Dinge entscheidet die Gemeinschaft

Soetwas wie den Papst, Bischhöfe etc sind in diesen Gemeinschaften unbekannt, ausgebildete als auch Laienprediger sind zugelassen. Der Glaube wird ohne viel Federlesen gelebt. Die meisten der heute in Paraguay lebenden Anhänger der mennonitischen Freikirche kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, haben aber deutsche Wurzeln. Sie sprechen niederdeutsch, eine Mischung aus plattdeutsch und anderen sprachlichen Einflüssen wie holländisch und schweitzerdeutsch.

Den Kirchen waren sie ein Dorn im Auge, da sie sich als Freikirche nicht finanziell oder politisch steuern ließen. Egal ob Sowjetunion oder USA- die Regierungen dieser Welt hatten (und haben) das Problem, das die Glaubensgemeinschaft ja nicht willens ist einen Grundwehrdienst zu leisten noch in den Krieg zu ziehen. Außerdem Unterrichten sie gern an eigenen Schulen. Eigentlich echte Christen, die das „Du sollst nicht töten!“ noch genau nehmen.

Der Landstrich in dem die Mennoniten heute leben wurde vor ca. 100 Jahren von einer französischen Expedition als menschenfeindlich und unbewohnbar beschrieben. Ein schwedischer Abenteurer soll gesagt haben: … alle Pflanzen haben feuerfeste Dornen, auf ein normales Tier kommen 1000 Insekten“. Der Chaco war die „grüne Hölle Paraguays“.

Paraguay suchte Menschen, die den Chaco besiedeln und bot den Mennoniten weitestgehende Autorität als Gegenleistung, während  die Mennoniten einen Fleck suchten, an dem sie ihren Glauben ungestört leben konnten. Wer sich tiefergehend dafür interessiert, dem seien hier neben Wikipedia noch ein paar links auf den Weg gegeben:

Ein paar gute Eindrücke bekommt man auf der Seite der Kolonie Neuland.  Dabei sind besonders die Bilder am Anfang der Zeittafel beachtenswert. Sehr gut ist auch Paraguay-online.org. Hier kann man viel über die Entwicklung erfahren. Ein bischen veraltet aber dennoch informativ ist claudia-chaco.com. Diese Seite  gehört Auswanderern aus Deutschland.

Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup sollen dort heute mit die glücklichsten Menschen der Erde leben.

Zum vergrößerm auf die Bilder klicken!

Die meisten Mennoniten im Chaco leben von der Rinderzucht und Milchviehbeständen.  Farmen werden meist von den Indios bewirtschaftet- die Mennoniten stehen aber beratend zur Seite. Im Gegensatz zu Israel oder den USA haben sie keine Kriege gegen die Ureinwohner geführt sondern versuchen die indigene Bevölkerung zu integrieren. Sie gelten als fleißig, führsorglich und freundlich. Unsere Gastschülerin stellte das mehrfach unter Beweis: sie reinigte ihr Zimmer ohne „helfenden Hinweis“, sorgte sich um unsere jüngste Tochter, half im Haushalt und integrierte sich im Handumdrehen im Freundeskreis unserer Großen. Wir waren wirklich sehr erstaunt- von unseren russischen Besucherinnen kannten wir das so nicht. Aber Gemeinschaft wird dort groß geschrieben. Es muss einen nicht wundern, wenn man im Internet lesen kann, das die Siedlungen der Mennoniten für etliche Paraguayaner ein Anziehungspunkt darstellt.

Unser Gast war 17 Jahre alt und konnte: Auto fahren, reiten, mit Traktoren umgehen, Motorrad fahren und war vielseitig interessiert. Sie eroberte sich auch in kürzester Zeit meine Linux- Systeme. Ich hatte ihr einen PC mit einem Ubuntu 12.04 zur Verfügung gestellt- sie kam nie und fragte. Gut, ich hatte ihr gesagt, das sie alles ausprobieren kann und keine Angst haben soll… Installiert waren: Firefox, GIMP, Audacity und das Libre Office Paket, Opera und Thunderbird sowie Skype und Pidgin. Jeden Abend hielt sie Kontakt zur Welt, egal ob hier in Deutschland oder nach Paraguay. Gemeinsam mit unserer Tochter bei Facebook und Co.

Dadurch, das die Kinder in der familiären Gemeinschaft aufwachsen lernen sie viele praktische Dinge eher als bei uns. Unser Besuch konnte mehrere Sprachen, ohne dafür die Schulbank gedrückt zu haben: Niederdeutsch in Wort, Hochdeutsch in Wort und Schrift, Spanisch in Wort und Schrift und ein wenig Guaranee in Wort. Bis auf das Hochdeutsche braucht sie alle Sprachen: niederdeutsch zu Haus, spanisch als Amtssprache und guaranee um sich mit den Indios zu verständigen. Hier ein paar Bilder aus der Arbeitswelt in Steinfeld.

Natürlich gibt es in Paraguay auch jede Menge andere Tiere, von denen nicht alle wirklich angenehm sind. Frösche, Krokodile, Mücken, Spinnen, Pumas…. Unsere Gastschülerin war völlig fassungslos darüber, das es bei uns Menschen in ihrem Alter gibt, die Kühe „süß und niedlich“ finden. Womit sie natürlich Recht hat… Im selben Atemzug erklärte sie dazu, das sie als Baby beinahe einmal im Melkstand totgetrampelt worden wäre, wenn ihr Vater sich nicht mutig der Kuh entgegengestellt hätte.
Sie wußte auch zu berichten, das es nicht angenehm ist, wenn sich der Sattel eines Pferdes nach unten dreht, wenn man gerade auf ihm reitet…


Ob man es glaubt oder nicht: die Internetanbindung ist dort teilweise besser als in Deutschland. Natürlich Wireless- denn bei der Einwohnerdichte wäre es völliger Blödsinn Kabel zu verlegen. Ein bekannter Provider ist dort ChacoNET. Unser Gast hatte auch ein ganz normales Handy- ich habe es allerdings versäumt zu fragen wie es mit den Funklöchern dort ist.

Interressant ist auch die Energie- und Wasserversorgung. Netzspannung ist wie bei uns (220V 50Hz), jedoch hat fast jeder Hof seinen eigenen Trafo. Als Stecker für elektrische Geräte sind hier NEMA Stecker (Typ A und B)im Einsatz.

Bastelkram

Not macht erfinderisch

Hier im Bild ist das Ladegerät für die Digitalkamera zu sehen- zum Glück haben die NEMA- Stecker Löcher…

Ungewohnt für uns ist auch die Trinkwasserversorgung dort. Während man bei uns einen Brunnen bohrt und das Regenwasser zum Blumen gießen nimmt, ist es dort beinahe anders herum… Das Regenwasser vom Dach wird gefiltert/ gereinigt und kommt dann in eine Zisterne. Es soll sogar Leute geben die in der Zisterne Fische halten. „Brunnenwasser schmeckt nicht!“ wurde uns gesagt. Die Regenfälle sind dort ja auch übers Jahr anders verteilt als bei uns. Es gibt Monate mit reichlich Niederschlag und auch welche, wo es garnicht regnet. Warscheinlich hat man sich deshalb angewöhnt Wasser intensiver zu nutzen als hier.

Man ißt dort übrigens mehr Mehlprodukte und weniger Kartoffeln, aber auch Krokodil… Das soll eher nach Fisch schmecken, außer der Schwanz, er soll einen fleischigen Geschmack haben. 😉

Ein normaler Tag läuft dort in etwa  so ab: um 4 Uhr aufstehen, Vieh versorgen/ melken , dann von um 7 bis 12 Uhr (auch Sonnabends) die Schule besuchen, um 14 Uhr ist das Vieh wieder dran…… Unsere Gastschülerin ging auf das Centro Educativo Lolita. So wie ich es mitbekommen habe gibt es in dort ein zweigliedriges Schulsystem. Das Centro Educativo Lolita ist soetwas wie ein Gymnasium. Unser Gast machte dort sein Abitur. Über die Möglichkeiten an deutschen Schulen und die Form des Unterrichts war sie begeistert- sie ging gern zur Schule!!!

Nun ist sie wieder in ihrer Heimat und wir alle wünschen ihr für ihren weiteren Weg das Beste und viel Erfolg. Ich persönlich hoffe, das der Laptop, den ich ihr geschenkt habe, noch viele Jahre gute Dienste leistet. Man hat an der Schule einen Vorteil, wenn man einen eigenen PC hat….

Wir haben große Achtung vor den Menschen gewonnen, die dort leben und lebten. Das Leben dort ist auch heute noch nicht leicht. Wer die Mennoniten dort für eine rückschrittliche, altbackene Glaubensgemeinde hält, hat wirklich keine Ahnung. Sie sind einer der Hauptwirschaftsfaktoren des Landes und ohne sie gäbe es ein paar hungernde mehr auf dieser Welt. Fleiß, Freundlichkeit und das Herz am rechten Fleck- das ist unser Eindruck.

Wir sind nach Paraguay eingeladen, alle… Leider ist der Flug zu teuer für uns… gern hätte ich live von dort berichtet. Aber wenn ich es mir irgendwann mal leisten kann…

Wir werden gern wieder jemand von dort aufnehmen und hoffen noch lange Kontakt zu ihr zu haben.

6 Gedanken zu „Paraguay, Mennoniten & Schüleraustausch

  1. Super, danke. Bin selbst erstaunt über Land und Leute und hätte mir die Aufnahme einer Gastschülerin wirklich nicht so unkompliziert vorgestellt. Ein schönes Erlebnis für eure Familie und …vielleicht klappt es mal mit dem Reisen.
    Über eigene Erfahrungen zu lesen und Bilder anzusehen, die nicht aus einem Reiseführer stammen, das ist schon etwas sehr Wertvolles.
    Weiter so!

  2. Sehr schöner und ausführlicher Artikel! Zu einem Austausch gehört nicht nur, dass der Gast sich gut an die Lebensweise der Gastfamilie anpasst, die Familie muss sich auch an die Lebensgewohnheiten, Denkensweise und Kultur des Gastes gewöhnen und offen sein für neue Erfahrungen.
    Ich wohne selber seit 29 Jahren in Paraguay. Da ich seit Jahren einen Schüleraustausch zwischen Deutschland und Paraguay leite, kenne ich dieses Thema gut. Schon übermorgen fahre ich mit 32 deutschen Austauschschülern zwischen 14 und 18 Jahren alt in den Chaco. Dort machen sie einen „2 Tage- Miniaustausch“ mit mennonitischen Familien aus Loma Plata. Das wird, so wie jedes Jahr, ein tolles Erlebnis für meine Schüler werden. 🙂

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